Jede Organisation ist voll davon: von Rollen, die ihre Mitglieder einnehmen. In dieser Hinsicht ist eine Organisation (by the way: genauso wie jeder andere soziale Kontext) wie ein großes Theaterstück mit einem komplexen Cast. Allerdings ist es nicht selbstverständlich, dass jedes Mitglied dieses Casts auch all seine Rollen kennt.
Und genau an diesem Punkt beginnt unser Gedanke: Es ist essenziell, Rollen zu klären, damit Teams und Organisationen gut zusammenarbeiten können. Das ist etwas, was wir bei Vitale Arbeitskultur ganz regelmäßig begleiten, damit alle Mitglieder des Casts ihre Rollen kennen, können und vor allem auch erfüllen wollen.
Warum Rollenklärung wichtig ist
Rollen gibt es vor allem aus einem Grund in Organisationen zu verteilen: weil Dinge erledigt werden müssen, um den zentralen Auftrag einer Organisation zu erfüllen. Dahinter steht letzten Endes die Verantwortung für viele verschiedene Teilaufgaben, die es braucht, um an das gesteckte Ziel, zum Beispiel eine Dienstleistung oder ein Produkt, zu gelangen.
Im besten Fall sagen Mitarbeitende in dieser Situation zur Beschreibung ihrer Rolle: „Das ist mein Job.“ Im Subtext heißt das: „Ist doch klar, dass ich das machen muss, dafür bin ich doch da und natürlich mach ich das (gern).“ Damit wollen sie, was sie müssen. Aber dass diese Antwort kommt, ist gar nicht so selbstverständlich, weil Verantwortungen in Organisationen gerne eine Eigendynamik entwickeln:
- Sie werden nicht immer klar und deutlich übertragen und auch nicht unbedingt angenommen.
- Noch dazu werden sie oft nur deshalb übertragen, weil es so scheint, als ob der/die Mitarbeitende noch Kapazitäten dafür frei hätte. Oder als ob es ohnehin in seinem/ihrem Bereich liegen würde.
- Und zu guter Letzt werden sie eben meistens übertragen, aber nicht unbedingt gewählt oder angefordert, ganz im klassischen top-down-Sinne.
All das führt gerne zu Rollenkonfusion und Rollendiffusion. Damit ist dieses Gefüge durcheinandergeraten und die Verantwortlichkeiten sind teilweise ineinander verschränkt und verkeilt. In solchen Fällen ist es hilfreich, die Rollen noch einmal neu zu klären, ganz ähnlich wie ein PC-System, das irgendwann eine Defragmentierung dringend nötig hat oder eine Dateiablage, die ein Refactoring braucht.
Das unmotivierte IT-Team – ein Praxisbeispiel
Ganz ähnlich war es bei einem IT-Infrastruktur-Team, das wir beraten haben. Vor uns saß eine Gruppe an recht unmotivierten Admins, die ihre Verantwortlichkeiten in den letzten Jahren immer eher nach Verfügbarkeit zugeteilt bekommen hatten. Mit der Tätigkeit an sich, also dem „Was es zu tun gab“, waren sie relativ zufrieden und ein Zusammenhalt im Team war auch erkennbar. Trotzdem wollte niemand so recht, was er musste und alle hielten ihre Arbeit eher aus, als sie gern zu tun. „Kundenanfragen werden spät beantwortet, jeder arbeitet für sich, und über die Arbeit wird ständig geschimpft.“, hieß es.
All das waren Signale von Demotivation, die zwar nicht so weit ging, dass die Admins daran dachten, das Unternehmen zu verlassen. Dafür hatten sie es sich gemütlich genug eingerichtet. Doch hatte sich daraus Ineffizienz und Unzufriedenheit entwickelt. Einerseits war also zu spüren, dass sich die Admins mit ihrer Rolle, Tätigkeit und Arbeitssituation identifiziert hatten, andererseits wollten sie viel von ihrer Verantwortung für diese Umstände an die höheren Hierarchieebenen abgeben, die in ihren Augen Lösungen finden sollten, anstatt selbst etwas daran zu ändern.
Der Verantwortungsdialog
Man kann sich vorstellen, dass eine Rollenklärung nur dann wirklich Sinn macht, wenn sie in aller Ehrlichkeit und Ausführlichkeit geschieht. Denn egal, wie klein eine Organisation ist, der Rollen-Cast ist eine komplexe Angelegenheit, die viel Gesprächsbedarf über das entstehen lässt, was unter der Oberfläche des sozialen Miteinanders liegt.
Rollenklärung Schritt für Schritt
Unser liebster Ansatz in solchen Situationen ist der Verantwortungsdialog. Im Zentrum dabei steht, dass Verantwortung hier bedeutet, auf etwas antworten zu können. Das heißt: Wenn ich als Organisationsmitglied auf eine Anforderung antworten muss, ist es im besten Fall so, dass ich darauf auch antworten kann, darf und noch dazu will. Das sind die zentralen vier Dimensionen des Verantwortungsdialogs. Und genau die helfen bei einem Rollenklärungsprozess.
Das Müssen im Verantwortungsdialog
Entscheidend ist, dass dieser Prozess bei Null startet. Es werden also nicht die bestehenden Rollen abgeklärt und durchgegangen. Stattdessen wird ganz im Sinne des Müssens einer Organisation auf Kärtchen zusammengetragen, welche Rollen es braucht, damit die Organisation läuft und die Ziele erreicht werden.
Liegen alle Verantwortlichkeiten auf dem Tisch, wird gemeinsam geclustert: Was passt zusammen? Was gehört zusammen? Was ist auseinanderzudividieren? So ergibt sich eine neue stimmige Gruppierung dieser Verantwortlichkeiten. Hieraus entstehen die verschiedenen Rollen, über die nun weiter reflektiert wird. Sie werden neu benannt, indem ein Überbegriff für die geclusterten Verantwortlichkeiten gefunden wird.
Das Dürfen und das Können im Verantwortungsdialog
Nachdem das Müssen geklärt wurde, finden sich die Organisationsmitglieder in Kleingruppen zusammen und denken über das Dürfen der verschiedenen Rollen nach. Hierzu gehört alles, was der Rolle erlaubt wird, um ihr Müssen zu erfüllen. Zu was ist sie befugt? Welche Privilegien bekommt sie? Welche Ressourcen erhält sie?
Daraufhin steht das Können im Zentrum: Welche Qualifikationen braucht es? Welche Vorerfahrungen sind essenziell und was muss man gelernt haben, um das Müssen zu erfüllen und die damit verbundene Verantwortung übernehmen zu können? All das wird zusammengetragen und schriftlich fixiert, um die Rollen anzureichern.

Die Matrix des Verantwortungsdialogs
Als Visualisierung dient eine Vierfelder-Matrix für jede Rolle. Sie wird in Kleingruppen Stück für Stück ausgefüllt, wobei zuerst die Erkenntnisse zum Müssen in das Feld rechts unten übertragen werden. Dem folgen die Gedanken zum Dürfen und dann zum Können. Nur das vierte Feld, das Wollen, bleibt erst einmal frei.
Stattdessen werden alle Rollen in einer Art Gallery Walk vorgestellt, damit sich jede:r Beteiligte ein Bild von den Rollen machen und Nachfragen und Ergänzungen anbringen kann. Daraufhin gehen alle noch einmal allein herum, schauen sich die Rollen an und kleben Post-it‘s mit Fragen, Spannungen, Einwänden und Bedenken auf.
Im nächsten Schritt wird jede Rolle mit all ihren Anmerkungen gesichtet und diskutiert, um jegliche Spannungen und Ungereimtheiten zu lösen. Ziel dabei ist, dass für jede Rolle letztlich ein stimmiges Konzept in Bezug auf das Müssen, Dürfen und Können besteht.
Das Wollen im Verantwortungsdialog
Nun geht es darum, wer die Rolle haben möchte, also um das Wollen. Hierzu nehmen sich alle Beteiligten Post-it‘s, auf die sie ihren Namen notieren und auf die Rollen kleben, die sie gerne hätten. Im besten Fall entscheiden sich alle für mindestens zwei Rollen und ebenso sind bei allen Rollen mindestens zwei Personen vermerkt, um im Sinne einer resilienten Organisation Ausfälle kompensieren zu können und eine geteilte Verantwortung zu leben.
Sicherlich gibt es immer noch ein bisschen was, das herumgeschoben werden muss. Aber durch die vorangegangene Reflexion und das Commitment, das damit gefördert wurde, besteht am Ende in der Regel ein geklärtes Rollenbild, mit dem alle Beteiligten einverstanden sind.
„Ich darf können müssen, was ich will!“ – die Magie der Selbstwahl
Wenn diese Schritte alle geschafft sind, kann die Magie beginnen. Nicht nur, dass das „System“ mal wieder aufgeräumt ist, das Schöne an diesem Prozess ist, dass selbstgewählte Verantwortung Identifikation und Commitment boostern kann.
Wie jeder Veränderungsprozess braucht auch eine solche Rollenklärung ihre Zeit, bis alles zurechtgerückt und eingeschliffen ist. Aber in dieser Methodik steckt viel Potenzial, dass die Veränderung von allen mitgetragen wird und das ist letztlich für jeden Change der zentrale Aspekt.
Ein entscheidender Punkt liegt dabei in der Motivation, die sich nach innen, in Richtung intrinsische Motivation, verlagern kann. Es wird ein Umfeld geschaffen, das genau das fördert. Und es trägt dazu bei, dass sich die Beteiligten wieder entwickeln können, ausgetretene Pfade verlassen und letztlich „müssen, was sie wollen“.
Was es dazu braucht, ist eine offene Kommunikationskultur, die zur Not auch von uns im Workshop geschaffen wird. Denn nicht immer trauen sich die Beteiligten, sowohl sich als auch anderen gegenüber zuzugeben, was sie wirklich wollen.
Noch einmal zurück zu den Admins …
Gerade diese letzten Punkte konnten wir bei den Admins deutlich beobachten, als wir einen Zwei-Tages-Workshop mit ihnen dazu machten. Bis zum Mittag des zweiten Tages hat es gedauert. Erst dann hatten die Admins wirklich verstanden, dass es darum ging auszusprechen, was sie tun wollen, anstatt nur ihre Pflichten zu benennen. Am Ende hatte sich durch den Rollenklärungsprozess die Stimmung im Team deutlich entspannt und alle gingen mit wesentlich mehr Inspiration und Motivation daraus hervor.
Die 5 wichtigsten Benefits der Rollenklärung durch den Verantwortungsdialog
1. Gesteigerte Motivation und Engagement
Durch selbstgewählte Verantwortungsbereiche entsteht eine tiefere Identifikation mit der eigenen Rolle. Mitarbeitende, die tun dürfen, was sie wollen und können, bringen (mehr) Leidenschaft und Energie ein.
2. Höhere Effizienz und Produktivität
Wenn Zuständigkeiten klar sind und keine Überlappungen oder Lücken bestehen, werden Reibungsverluste minimiert. Aufgaben werden schneller erledigt, weil jeder genau weiß, wofür er verantwortlich ist.
3. Verbesserte Zusammenarbeit
Teams mit klaren Rollen kommunizieren effektiver und arbeiten besser zusammen. Die transparente Verteilung von Verantwortlichkeiten reduziert Konflikte und fördert gegenseitiges Verständnis.
4. Gesteigerte Resilienz und Anpassungsfähigkeit
Durch die Mehrfachbesetzung von Rollen wird das Team weniger anfällig für Ausfälle. Gleichzeitig werden Kompetenzen breiter verteilt und die Organisation wird flexibler bei Veränderungen.
5. Nachhaltige Kulturentwicklung
Der Verantwortungsdialog schafft nicht nur kurzfristige Klarheit, sondern etabliert einen kontinuierlichen Reflexionsprozess. Teams entwickeln ein gemeinsames Verständnis ihrer Rollen und übernehmen aktiv Verantwortung für ihre Weiterentwicklung.
Diese Benefits wirken nicht isoliert, sondern verstärken sich gegenseitig. Organisationen, die den Verantwortungsdialog implementieren, berichten von einer spürbaren Transformation ihrer Arbeitskultur – weg von einer Pflichterfüllung hin zu einer von Motivation und Eigenverantwortung geprägten Zusammenarbeit, eben von einer vitale(re)n Arbeitskultur.
Möchtest du erfahren, wie der Verantwortungsdialog in deinem Team funktionieren könnte? Kontaktiere uns für ein unverbindliches Erstgespräch.
